KULTURGESCHICHTE DES SINGENS

Einige Auszüge sollen zeigen, dass SINGEN immer schon etwas ganz Besonderes war:

Bei den Griechen stand die stimmliche Ausbildung in den Diensten der Rhetorik. Der Wohlklang der Stimme stand im Mittelpunkt. Wie hoch die Stimmkünstler im klassischen Griechenland geschätzt wurden, beweist die Tatsache, dass man sie in eigenen Häusern wohnen ließ. Lebensweise, Verpflegung und Leibesübungen der Rhetoren und Sänger standen unter staatlicher Aufsicht. Die Phöniker vermieden körperliche Anstrengungen, machten Spaziergänge und hielten sich an eine bestimmte Diät. Sie strebten nach zartem Stimmklang und großem Stimmumfang.

Der bekannte römische Staatsmann Cicero reiste nach Griechenland, um dort eine Rednerschule zu besuchen. Von ihm ist weiters bekannt, dass er sich vor einer Rede immer einsprach (- einsingen).

Um seine Stimme zu stärken, legte sich Kaiser Nero auf den Rücken und beschwerte die Brust mit Bleiplatten. Er mied Obst und Speisen, die den Hals aufrauen konnten.

Im Mittelalter war die Ausbildung der Stimme ausschließlich auf die Erfordernisse des Kirchengesanges ausgerichtet. Keiner wurde zum Priesteramt zugelassen, der nicht „wohlerfahren im Gesange“ sei.

Hrabanus Maurus, Erzbischof von Mainz (um 847), leitete als Abt von Fulda 24 Jahre lang eine Sängerschule. Er riet den Sängern, vor einer großen Aufgabe nichts als Bohnen zu essen.

Die gregorianische Sängerschule in Rom wurde bald die Mutter und Verbreiterin des Gesanges für die ganze Christenheit.

Kirchenchöre waren damals Profichöre – z.B. in der Sixtinischen Kapelle sangen in der Mitte des 15. Jahrhunderts nur neun Sänger.

Während der Renaissance-Zeit entwickelte sich ein Bewusstsein für Stimmhygiene. Es war bekannt, dass wenig Schlaf, Überanstrengung und Ausschweifungen den Körper, die Stimme und den Atem entkräftigen. Der Arzt und Sänger Maffei verbot den Sängern, Früchte mit harten Schalen (Nüsse) zu essen. Wein durften sie nur stark verdünnt trinken, da dieser die Schleimhäute austrocknet. Cerone hatte sogar ein Mittel gegen eine verloren gegangene Stimme: Man kaue Kohl und schlucke den Saft hinunter, dann stellt sich die Stimme wieder her. Essig bei nüchternem Magen getrunken, macht die Stimme robuster und heller.

In seinem Werk „Micrologus“ (1517) berichtet Andreas Ornithoparcus von einem ziemlich niederen sittlichen und stolzen Lebenswandel der Sänger.

In der Barockzeit entwickelte sich der Belcanto-Gesang. Besonderen Wert legten die Gesangslehrer auf die Atemleistungen. Giovanni Andrea Bontempi gibt Einblick in den Stundenplan der Gesangsstudenten: je eine Stunde Passagien – Trillerübungen, Literaturstudium, Singen mit dem Lehrer vor dem Spiegel. Am Nachmittag: je eine Stunde Musiktheorie, schriftliche Übungen im Kontrapunkt, Literaturkunde sowie Cembalo – und Kompositionsübungen.

Die Kastraten erfüllten das Stimmideal der Barockzeit. Die systematische Schulung für den künstlerischen Beruf begann meist sehr frühzeitig, manchmal schon mit acht oder neun Jahren (Farinelli wurde schon mit 7 kastriert 1712)). Das Studium dauerte zehn bis zwölf Jahre. Der Lehrer lebte mit seinen Schülern zusammen und konnte sich mit jedem individuell befassen.

In der Klassik und der Romantik verlor der Sänger an Wichtigkeit und Bedeutung. Bedingt durch die Vergrößerung der Orchester wurde das Hauptziel der Sänger laute und hohe Töne zu produzieren.

Am Ende des 19. Jahrhunderts kritisierten einige HNO-Ärzte, dass Gesangslehrer und Studenten die anatomischen und physiologischen Betrachtungen über das menschliche Stimmorgan völlig außer Acht ließen. Dr. Avellis forderte z. B.: das tägliche Gesangspensum sollte eine Stunde dauern. In den Pausen, die 5-10 Minuten betragen, darf nicht laut gesprochen werden. Eine Art der Stimmmisshandlung geschehe durch die Luftvergeudung beim Singen. Daher müsse der Sänger immer mit einem festen Stimmeinsatz beginnen (aus heutiger Sicht falsch). Den Gesangsstudenten verbot er das Mitsingen bei Gesangsvereinen.

Es herrschte zu jener Zeit eine völlige Desorientierung in der Gesangspädagogik.

In unserem Jahrhundert wurde vor allem auch durch Fortschritte in medizinisch – wissenschaftlichen Bereichen, durch Zusammenfassung aller Ergebnisse der Stimmphysiologie und durch deren Prüfung in den Diensten der Stimmbildung eine solide Grundlage für die Gesangspädagogik der Zukunft gesucht.

Singen ist weit mehr als nur ein Hobby. Keine Kunst ist so unmittelbar Ausdruck des ganzen Menschen. Singen ist ein wesentlicher Bestandteil zur seelischen Gesundung des Menschen.

Singen ist ein schöpferischer Akt.